XC: Der 29. Mai 1999
Besonders gut klingt die Wettervorhersage für heute, den 29.5.99 nicht. Da steht etwas von später Thermik mit nachmittäglicher Überentwicklung und stumpf werden durch Warmluft in der Höhe. Na egal, nach den Mißerfolgen in letzter Zeit muß jeder Tag genutzt werden um Erfolgserlebnisse zu sammeln. Früh losfahren um Streß am Berg zu vermeiden ist das Wichtigste, das habe ich gelernt. Also stehe ich schon um 10.30 Uhr an der Talstation der Jöchelspitzbahn im Lechtal. Markus und Karl-Heinz sind auch schon da, obwohl sie den weiteren Weg haben. Es scheint auch sie sind heiß. Es dauert dann doch noch etwas, bis man endlich fertig am Startplatz steht ist es doch schon kurz nach 12 Uhr. Die ersten Gleitschirme sind schon an der Basis, von wegen später Thremikstart. Markus ist auch guter Dinge, nachdem es auf überhaupt nicht nach Überentwicklung aussieht greift er zum Größten was er in seinem Fundus hat - einem 70er flachen Dreieck. Den zusätzlichen Streß des Ausschreibens tue ich mir nicht an, ich bin auch so schon aufgeregt genug. Markus geht als erster raus und zeigt mir wo der Bart steht - ziemlich weit draußen. (1) Ich gleich hinterher, tja wo ist er denn nun, da war er doch gerade noch. Oje schnell zurück zum Hang, bloß nicht absaufen, das ist mir hier schon so oft passiert. Ein bißchen über den Bäumen kratzen, jetzt wär’s ganz nett was moderneres als meinen Marlin zu fliegen. Immer mal wieder über die Kante schauen ob der Bart wieder an ist, langsam setzt er wieder ein und nach einem dreiviertelstündigen Kampf mit ruppiger Thermik bin ich endlich an der Basis.(2) Die liegt schon über 3000 m, das kann ja noch heiter werden. Der Westwind hat mich schon über das Bernhardseck versetzt, Gott sei Dank brauche ich kein Startfoto, sonst müßte ich jetzt gegen den Wind wieder zurückfliegen, so kann ich mich einfach mit dem Wind Richtung Klimmspitze schieben lassen. Bis dahin ist kein richtiger Bart mehr zu finden, erst an der Klimmspitze geht’s wieder an die Basis, die liegt schon bei 3300 m. (3) Das einer der schönsten Augenblicke beim Fliegen, wenn man beim Einflug in einen Bart schon merkt, der bringt mich jetzt an die Basis und man entspannt aufkreisen kann und nach jedem Kreis wieder mehr Berge ins Sichtfeld kommen.
Die Bärte liegen heute alle recht weit draußen, so quere ich dann auch das Hinterhornbachtal und halte auf die vor der Saldeinerspitze kreisenden Kollegen zu, und wieder geht’s an die Basis. (4)
Jetzt kommt die Frage wo soll ich weiter fliegen, hätte ich ausgeschrieben wüßte ich es genau, so habe ich die Qual der Wahl. Soll ich meinen Traum verwirklichen und zur Zugspitze fliegen ? Dann müßte ich aber jetzt schon zur Schwarzhanskarspitze queren und ich weis nicht, ob die um die Uhrzeit schon geht und dann käme noch die riesige Querung zum Thaneller. Dazu, wo man den anfliegen soll, gibt’s soviel Meinungen wie der Berg Seiten hat, nur daß es nicht einfach ist, darin sind sich alle einig. Noch ein paar Kreise im Sinken, bis ich mich entschieden habe. Also, ich werde den Tag nicht durch so einen wagen Versuch vorzeitig beenden, sondern entscheide mich weiter ins Tannheimer Tal zu fliegen. Zu dem Tal hat mir Armin Appel schon so viel erzählt, das müßte einfacher sein. Vielleicht reicht es bis zum Iseler, zurückkommen werde ich wohl nicht mehr, aber egal. Ich fliege einfach einem Tandem hinterher, der wird mir schon zeigen wo es wieder nach oben geht. Wir halten direkt auf den Vilsalpsee zu und lassen die Leilachspitze rechts liegen - ob das wohl klug war ? Auch über dem Grat von der Lachen- zur Leilachspitze geht’s nicht nach oben. So fliegen wir einfach weiter. Was mich etwas stutzig macht ist, daß der Tandem inzwischen mindestens 200 m höher ist als ich und mein Sinkalarm gar nicht mehr verstummen will. So bin ich schon froh gerade noch über der Schochenspitze anzukommen (5) während der Tandem einfach weiter über den Vilsalpsee fliegt. Über der Schochenspitze piepst es ein paar mal recht zaghaft. Beim Kreisen verliere aber mehr Höhe als ich gewinne. Also weiter zur Sulzspitze, dort soll mich ja laut Armin ein um diese Uhrzeit schon recht ruppiger Bart erwarten. Macht aber nix, mir ist jetzt alles recht was mich wieder ein paar hundert Meter nach oben bringt. Dort angekommen ist es überhaupt nicht ruppig allerdings auch weit und breit kein Steigen. Auch die "Hallo" Rufe der Wanderer lösen keine Thermik aus. So muß ich wohl oder übel weiter zum Neuenerköpfle wo alle recht tief und Ostseitig versetzt herumkrebsen. Ich halte gleich auf die Kollegen zu, allerdings geht’s jetzt so schnell runter, daß ich mich ruckzuck im Lee wiederfinde (6) und ich im Saufen den ganzen Berg umfliegen muß, jetzt bin ich schon fast auf Höhe der Mittelstation abgesunken. Ich reihe mich in die Meute ein die versucht im turbulenten Aufwindband an dem Grat an dem die Bahn entlang führt Höhe zu machen. (7)
Jetzt hat die Talfahrt wenigstens eine Ende wenn auch das achtern im Pulk nicht gerade entspannend ist. Die Thermikblasen die nach oben gehen sind so zerrissen und versetzt, daß es recht mühsam ist Höhe zu machen. Ich kann überhaupt nicht verstehen warum dieser Berg so beliebt gerade bei Anfängern ist, so unangenehme Thermik habe ich auf dem ganzen Flug noch nicht erlebt. Das sind zwei verschiedene Gleitschirmwelten, eben noch allein (na wenigstens fast) an der Basis die kühle frische Luft und der herrliche Blick, jetzt das stressige Pulkfliegen in der stickigen Talluft. Ich möchte so schnell wie möglich weg, aber so schnell geht das nicht ich brauche über eine halbe Stunde bis ich genug Höhe habe um mich über die Krinnenspitze treiben zu lassen. (8) Den Plan zum Iseler zu fliegen kann ich bei dem kräftigen Westwind der hier im Tannheimer Tal weht glatt vergessen. Also schnell umdisponiert, das Ziel heißt jetzt "zurückkommen". Die Krinnenspitze empfängt mich mit kräfigem Steigen, das mich endlich wieder an die Basis bringt, die liegt auch hier im Tannheimer Tal nun über 3000 m NN, das ist nicht schlecht.
Der Weg geht weiter über den östlichsten Ausläufer der Leilachspitze, der mich auf 3500 m NN bringt.(9) Jetzt wird das Lechtal gequert zur Schwarzhanskarspitze, die um diese Uhrzeit auf jeden Fall gehen sollte, das tut sie auch. Das Vario zeigt 3800 m an als mir die ersten Wolkenfetzen um die Ohren wehen.(10) Kurz habe ich den Gedanken ich könnte ja mal ein bißchen in die Wolke aufdrehen, als aber in 100 m Entfenung ein Segler an mir vorbeisaust ist der Gedanke schon wieder ausgedacht. Ich kann dem Segler nur wehmütig hinterherschauen wie er in kürzester Zeit und mit wenig Höhenverlust ins Inntal fliegt. Aber auch mir steht mit dieser Höhe alles offen, ein Blick aufs GPS sagt mir, daß es noch über 20 km zurück sind. Sollte doch kein Problem sein. Also quere ich über das Namloser Tal zum Elmer Muttekopf. O Oh ! Der Wind ist doch nicht ganz ohne hier oben. 20 km/h zeigt das GPS noch an und 3 m/s Sinken das Vario, da lohnt es sich sogar mit meinem Marlin den Beschleuniger zu betätigen, der sonst eher eine Abstiegshilfe darstellt. Wie schnell man doch 1500 m vernichten kann. Jetzt müßte es aber mit dem Talwind aus NO an der Elmer Kreuzspitze wieder nach oben gehen und vor allem schneller voran. (11) Nix da, es bleibt einem nichts erspart, einen Talwind gibt es heute nicht und auch kein Steigen an der Nordflanke. So fliege ich an die Nordwestseite weiter, (12) hier piept's ein bißchen und mit etwas suchen habe ich auch einen Bart erwischt, der mich wieder auf 3500 m bringt, mich dabei aber wieder weit zurück versetzt. Das Spiel beginnt von vorne über das Bschlabber Tal (13). An der Lichtspitze bin ich noch tiefer, ich weis jetzt aber wenigstens gleich wo ich suchen muß. Ein Sonic und ein Saber teilen das gleiche Schicksal und so kämpfen wir uns gemeinsam wieder hoch. An der Wannenspitze (14) kenne ich das Spiel bereits. Wenn jetzt nichts mehr dazwischen kommt müßte es geschafft sein.
Und, oh Wunder, es kommt nichts mehr dazwischen mit 1000 m über dem Landeplatz in Bach und einem Grinskrampf im Gesicht komme ich an und habe nach 5 ½ Stunden sogar noch die Nerven genüßlich mit Wingovern die Höhe zu vernichten. Nach der Landung habe ich jedoch Schwierigkeiten geradeaus zu gehen, so fertig bin ich. Freudestrahlend begrüßt mich Karl-Heinz, der bis zum Hahnenkamm geflogen ist, aber auf dem Rückweg die falsche Talseite benutzt hat und in Elbigenalp kurz vor dem Ziel abgesoffen ist, da aber auch er nicht ausgeschrieben hat, ist das halb so schlimm. Nur Markus fehlt noch. Kurze Zeit später erscheint er aber über der Ruitelspitze. Klasse er hat es geschafft, nur noch das Landefoto. Er war über 6 Stunden in der Luft, so sieht er auch aus. Er ist so glücklich über die vollendete Strecke, daß er uns zum Essen einlädt.
An nach Hause fahren ist heute nicht mehr zu denken, ich würde grinsed am Steuer einschlafen. Und außerdem muß man den Flug noch mit den Freunden verarbeiten. Schade daß es solche Tage nur selten gibt, aber wahrscheinlich sind sie deswegen so gut.
Flug und Text: Wolfgang Jauch